René Mense – Komponist


 

 

Studie II: Überblendungen (2008)
für Violoncello, 2'30"

UA am 10.07.2008 in Groß Zicker/Rügen durch Christina Meißner

  Mit der Studie II wird der Versuch gemacht, eine Verbindung herzustellen zwischen den barocken Ricercari von Domenico Gabrielli (1651-1690) und der neobarocken Sonate für Violoncello solo von György Ligeti (1923-2006).

  Bei den Ricercari handelt es sich um die ersten Veröffentlichungen für solistisches Violoncello überhaupt; Gabrielli war selbst ein virtuoser Cellist und schuf seine Ricercari im Jahre 1689, ein Jahr vor seinem frühen Tod. Ligetis Sonate entstand um das Jahr 1949 unmittelbar nach Beendigung seines Musikstudiums und zeigt neben dem Idiom ungarischer Volksmusik auch Einflüsse von Bela Bartòk. Ein weiteres Werk aus dieser frühen Schaffensperiode Ligetis ist die Musica Ricercata (1951–1953) für Klavier, die Bartòk gewidmet ist. Hier ist bereits im Titel die Bezugnahme auf barocke Formen und Gestaltungsprinzipien angezeigt.

    Das barocke Ricercar (ital. ricercare, suchen) vereint in sich Imitationstechniken der Motette bzw. des Madrigals und Formen aus der instrumentalen Improvisation  wie Toccata und  Fantasie. Ein weiterers Merkmal ist das des allmählichen Aufsuchens der Tonart (Modus). Die Verbindung all dieser Elemente macht das Ricercar auch zu einem Vorläufer von Präludium und Fuge gleichermaßen. 

Notenbeispiel (PDF)

   Mir ging es in der Studie II darum, die neobarocke Figuration der Sonate Ligetis  gewissermaßen zu „überblenden“, zum einen in ein musikalisches Plusquamperfekt lange vor dem Barock Gabriellis und zum anderen in die Zukunft des Komponierens, wie Ligeti es nach seiner Emigration in den Westen praktiziert hat.

  Dieses Plusquamperfekt und jene Zukunft konvergieren dabei durch eine Art „Scharnier“, nämlich Mikrointervalle, die ich aus dem antiken griechischen Tetrachord herleite, das in der Theorie vom Sýstema téleion überliefert wurde durch den Aristotelesschüler Aristoxenos von Tarent.

  Das Rahmenintervall des Tetrachords, die Quarte a-e (auch e´-h), war unveränderlich. Die mittleren Töne g und f (oder d´ und c´)  konnten hingegen stufenweise abgesenkt werden. Das führte zu drei Tongeschlechtern, von denen sowohl in der Spätantike als auch in der Renaissance nur das „diatonische“ praktisch wieder aufgegriffen wurde. In der Theorie und wohl auch praktisch haben um das Jahr 1500 allerdings verschiedene Musikgelehrte in Italien mit den „verworfenen“ Typen des „enharmonischen“ und des „chromatischen“ Tongeschlechts experimentiert. Dahinein versuche ich musikalisch zu überblenden.

  Der Einsatz dieser Zwischentonstufen bringt nicht zuletzt das labile Verhältnis der beiden Modi meiner Studie, nämlich Phrygisch A und Dorisch G, zum Kippen, so dass das Suchen nach der Tonart, wie es das barocke Ricercar ausmacht, ad absurdum geführt wird.

  Auf der anderen Seite der Zeitachse stehen dagegen Ligetis spätere Arbeiten, in denen er Mikrointervalle und andere als die temperierte Stimmung verwendet hat, Pate für die Überblendungen meiner Studie.

Komplettaufnahme (MP3) 2,9 MB

< zurück

 

 

 

 Impressum | Fotos:  Susanne E. Fraatz | Webdesign:  Frank Ralf