René Mense – Komponist


 

 

En Face d'en Face  (1998)
für Flöte und Harfe, 8'

UA am 1.10.1999 im Tsai Center Boston, USA, durch Kathy Bond (Flöte) und July Miller (Harfe)

Die europäische Erstaufführung fand statt am 16. 2. 2002 im Centre Pompidou, Paris, und wurde von den Mitgliedern des „Ensemble Intercontemporain“ Emmanuelle Ophèle (Flöte) und Frédérique Cambreling (Harfe) gespielt.

  In En Face d'en Face (dt. „gegenüber von gegenüber“) werden zwei Arten musikalischer Bewegung miteinander kombiniert.Beide Instrumente wechseln zwischen einem kapriziösen Scherzando-Charakter und einem, paradox formuliert, unbewegten Andante-Charakter. Letzterer ist in Form einer Folge gleichmäßiger Viertelnoten komponiert.

  Die Dramatik des Stücks wird beherrscht von der dialektischen Spannung, die aus dem Übergang von Dynamik in Statik resultiert. Dynamik verstehe ich hier im aristotelischen Sinne als potentielle, d.h. noch nicht verwirklichte, „Kraft“, die z.B. auch einer musikalischen Figur innewohnt. Diese Potenz (dynamis) drängt zum Akt (actus/energeia), zu ihrer „Verwirklichung“.

    Die ontologisch-genetischen Aspekte von Sein bzw. Werden der Dinge in diesem aristotelischen Erkenntnismodell sind für mich dabei nicht von Bedeutung. Es geht mir auch nicht darum, so etwas wie das Wesen der Musik zur Erscheinung zu bringen. Mich interessiert das Modell des Aristoteles hier lediglich als eine Art „Kräfte-Parallelogramm“, mit Hilfe dessen eine dialektische Betrachtung von in Musik gefassten Gegensätzen formuliert werden kann.

  Die dialektische Spannung artikuliert sich in En Face d'en Face in einer Tendenz zum Leerlauf: die Scherzando-Figuren überdrehen in einem Strudel akkumulierender Kräfte, wodurch ihre Dynamik sozusagen „verpufft“ und zum Stillstand (stasis) kommt. Die bereits in sich statische Gleichförmigkeit der Viertelnoten des Gegencharakters bewirkt hingegen die Anstauung von Kraft, d.h. es wird gewissermaßen neue Potenz aufgebaut, die dann wiederum zur energeia (actus) drängt.

  Es zeigt sich also, dass beide Charaktere trotz ihrer äußeren Gegensätzlichkeit auf bestimmte Art miteinander verwandt sind. Ins Begriffliche übersetzt hieße das, dass nichts ist was es ist ohne durch sein Gegenteil hindurchgegangen zu sein.

Notenbeispiel (PDF)

Hörbeispiel (MP3) 4,5 MB

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